Pray war irgendwie auch dabei, beim #ijf23, aber nur in Form von Kirchen und Assisi.  Zum ersten Mal war ich in diesem Jahr beim International Journalism Festival in Perugia. Schon lange habe ich es vorgehabt, jetzt hat es endlich geklappt. Was soll ich sagen: Ich bin geflasht. Und habe das Appartment für #ijf24 schon gebucht.

88 Stufen ins Perugia-Paradies

Nach anderthalb ruhigen Wochen in der Nähe von Lucca und anschließend Grosseto kam ich endlich in Perugia an. Okay, das Ankommen war leicht beschwerlich. Das Appartment über den Dächern der wunderschönen alten Stadt. 88 Stufen trennten mich von einer himmlischen Aussicht. Jedes Mal. Am Ende der Woche war ich fit und meisterte den Aufstieg bis zu 4 x am Tag, ohne aus der Puste zu kommen. Was die Stufen angeht, so bin ich noch nie in einer Stadt so viele Treppen gestiegen. Auch außerhalb des Appartments. Aber genau das ist auch ein Punkt, der den Charme dieser Stadt ausmacht.

#ijf23 – wertschätzend, international und ganz viel FOMO

Einmal im Jahr fallen dort nun tausende Medienschaffende ein. Ob das dann noch schön ist? So meine Gedanken am Tag, bevor das #ijf23 begann. Überraschenderweise war diese Konferenz dann ganz anders als ich vermutet hatte. Entspannt, netzwerkig, wertschätzend und einfach nur großartig. Wenig bis kein Brusttrommeln, ein extrem gemischtes Publikum, eine Vermischung von Teilnehmenden und Speakerinnen und Speakern. Und Touristen und Einwohnern, denn auch für die ist das Festival kostenlos zugänglich. Das ist besonders und vermittelt Offenheit und Transparenz. Die Locations über die ganze Stadt verteilt. Panels und Sessions in wunderschönen alten Gebäuden. Die Themenvielfalt immens breit und international. Gar nicht so einfach, sich durch das Programm zu wühlen und nicht in FOMO zu verfallen. AI als großes Thema, aber unter anderem auch Datenjournalismus, Desinformation, investigativer Journalismus, Whistleblowing, Social Media, Diversity, Klimajournalismus, die Ukraine, „Media under Attack“ und mein Herzensthema „Safety & Well-Being“ endlich mit einem eigenen Themenbereich.

Sicherheit und Well-Being ganzheitlich denken

Endlich, endlich kommt das Thema raus aus der Stigmatisierung und wird als Problem des Systems gesehen und nicht als Problem einzelner Menschen. Medienunternehmen und auch Regierungen müssen endlich mehr Verantwortung übernehmen und sich um die Sicherheit der Medienschaffenden kümmern. Denn sowohl Bedrohungen im online-Bereich, die in 20% der Fälle in offline Attacken enden, sondern natürlich auch Kriegsberichterstattung, totale Arbeitsüberlastung und die Arbeit mit Graphic Content beeinträchtigen die psychische Gesundheit. Deshalb, so ein Appell, den ich mitgenommen habe: Müssen wir Sicherheit und Well-Being ganzheitlich denken. Safety darf kein Luxus sein, sondern muss zur Selbstverständlichkeit werden. Und zwar für festangestellte Journalist:innen und auch für freiberufliche tätige Medienschaffende, die oft auf sich allein gestellt sind.

Wir brauchen strukturelle Veränderungen

Schon in Verträgen sollte das Thema Safety berücksichtigt werden. Und übrigens: Wer bei diesem Thema an Kosten spart, wird später viel höhere Kosten haben durch lange Ausfälle oder sogar Kündigungen, einer sinkenden Attraktivität des Berufs und weniger Weiterempfehlungen. Wir müssen eine Kultur der Sicherheit und Wertschätzung für die Arbeit von Medienschaffenden aufbauen. Das sind die strukturellen Veränderungen, die dringend notwendig sind. Aber auch das Individuum kann etwas für sich tun. Resilienz aufbauen. Erfrischend warmherzig und so extrem nützlich der Workshop von der großartigen Ana Zellhuber von Vinland Solutions, die nicht nur den A Mental Health Guide for Journalists Facing Online Violence empfahl, sondern darüber hinaus empfahl, 1 x täglich etwas zu tun, das entspannt, 1 x täglich etwas, das Freude macht und 1 x täglich eine Atemübung.

Peer-to-Peer-Support und ein Multistakeholder-Ansatz

„Was tut eure Redaktion, um deine Online-Sicherheit zu unterstützen?“, lautete die Frage eines Panels mit Viktorya Vilk, Elodie Vialle und Elisabet Cantenys in einem anderen Panel zu Online-Abuse. Die interaktiven Antworten zeigten erschreckenderweise ein großes „Nothing“ im Mittelpunkt der interaktiven Grafik. Es gibt noch eine Menge zu tun. Gerade auch im Bereich „Gendered Online Violence“. 73% aller Journalistinnen haben bereits Erfahrungen mit Online Violence gemacht. Aber immer noch viel zu wenige melden dies und wehren sich dagegen. Die Angst, als nicht mehr belastbar zu gelten, keine Aufträge mehr zu bekommen oder einfach nicht ernstgenommen zu werden, ist immer noch groß. Hier, wie auch in den anderen Bereichen, spielt der Peer-to-Peer-Support eine große Rolle. Denn das ist ein „Kampf“, den wir nicht allein gewinnen können, sondern nur, wenn wir uns gegenseitig unterstützen. Und wir benötigen einen „Multi-Stakeholder“-Ansatz, an dem Regierungen und Redaktionen ebenso beteiligt sein müssen wie Plattformen und auch Einzelpersonen.

Wir sind noch am Anfang

Ein Anfang ist gemacht. Denn wir reden über dieses Thema und treten in Aktion. Erste Verbesserungen sind sichtbar und das ist gut so. Das Stigma ist noch groß, aber es bröckelt allmählich.

Was mich sonst noch beeindruckt hat: Das Panel „How the far right is going global“, das Hands-On-Kurzseminar zu LinkedIn, ein Panel zu „The Kyiv Independent„, ein Workshop zu Deep Listening, und das Factchecking Panel zum Thema Prebunking und Faktencheck von Google und dpa. Und das Schöne ist: All die Sessions könnt ihr euch im Nachhinein anschauen. Ihr findet sie unter https://www.youtube.com/@journalismfest. Auch ich werde mir noch so einiges im Nachhinein anschauen und habe es auch schon getan. Denn für eines muss in Perugia und auf einem Journalisten-Festival generell unbedingt Platz sein: Fürs Netzwerken.

Netzwerken bei Trüffelpasta

Und auch hier habe ich extrem positive Erfahrungen gemacht. Auf der einen Seite hat es mich sehr gefreut, viele Kolleginnen und Kollegen mal in Ruhe sprechen zu können und auf der anderen Seite sind viele neue Kontakte entstanden. Das hatte nichts von Visitenkartentausch, sondern geschah auf wertschätzende Art und Weise. Und natürlich durfte auch La Dolce Vita nicht zu kurz kommen. Lässt sich mit dem Netzwerken übrigens hervorragend verbinden. Denn bei unglaublich feiner Trüffelpasta und Weißwein lassen sich wunderbar neue Ideen und Pläne schmieden.

Perugia fühlen und schmecken

Ich habe so eine Atmosphäre bisher noch bei keinem Festival erlebt. Mal eben über den Corso Vannucci schlendern, einen Kaffee mit netten Menschen genießen, beim Media Lab Bayern spannende Pitches anschauen, in die nächste Session huschen und aufmerksam zuhören, während der Blick immer wieder an den schönen Räumlichkeiten hängenbleibt. Die Sonne genießen. Mal kurz nach Assisi düsen und mit vielen „Franz“-Eindrücken zurückkommen, einen Aperitivo auf der Piazza kredenzen. Jeden Morgen aufwachen, Italien und Perugia schmecken, fühlen und sehen.

Wir sehen uns beim #ijf24, wenn es wieder heißt „Eat Connect Love“.