Wenn du selbst immer von Failing Forward redest und dich dann genau das ordentlich auf die Probe stellt. Vor einer Keynote, in der es absurderweise auch um Failing Forward geht.

Es fing am Abend vorher an. Ich pumpe mal eben das Raftingboot auf und verstaue es dann im Auto, damit ich morgens schnell losfahren kann. So meine Idee. So weit, so gut. Dass dieses extra klein bestellte Raftingboot dann trotzdem erstmal so gar nicht ins Auto passen wollte, hatte ich nicht bedacht. Bei immer noch über 35 Grad bastelte ich mein Auto so lange hin und her, bis dieses Boot irgendwie drin und ich schweißgebadet war. Eine Fahrt von einer Stunde würde ich überstehen und alle anderen auch. Schließlich gibt es ja noch Seitenspiegel. Zur Erklärung: Das Raftingboot hatte ich mir, gemeinsam mit einer Buddhafigur, die sich als weniger störrisch erwies, als Bühnendeko zu meiner Keynote zum Thema „Der Buddha liebt Rafting“ überlegt.

Ein Fail nach dem nächsten

Schlau wollte ich auch sein und habe in der Apotheke ein transparentes Sonnenschutzspray gekauft. Schließlich wollte ich zwar ein bisschen strahlen, aber nur äußerlich. Die Apothekerin war ganz begeistert und sagte, man könne das Spray auch in die Haare sprühen, damit die Kopfhaut geschützt sei. So weit, so gut. Als ich dann am nächsten Morgen nach dem Haarewaschen und Besprühen meines Kopfes in den Spiegel schaute, bekam ich eine kleine Panikattacke. Denn transparent stimmte zwar, das Spray sorgte aber wunderbar dafür, dass meine Haare so aussahen, als ob ich sie mehrere Tage nicht gewaschen hatte. Zeit, dieses Desaster zu beheben, hatte ich nicht mehr. Ich stand kurz da und aktivierte dann mit einer kleinen Klopfübung meinen Nervus Vagus, so wie ich es anderen Menschen in solchen Situationen immer rate, atmete tief durch und ergab mich meinem Schicksal. Muss halt so gehen, sagte ich mir. Ging auch. Nur gut hat es sich nicht angefühlt. Failing Forward halt, was soll’s.

Als ich dann am nächsten Morgen ins Auto stieg, wäre ich ohne offene Fenster, sofort den schnellen Plastiktod gestorben. Denn das schicke Raftingboot hatte seinen ganz eigenen Geruch. So fuhr ich dann frühmorgens mit komplett offenen Fenstern, einem das ganze Auto ausfüllenden Raftingboot und unschönen Haaren in den CoworkingSpace in Liddes, wo das First Swiss Nomad Festival stattfand.

Ein Tweet, der an dem Tag meine Denkweise veränderte

Ich sollte dort eine Keynote halten und war ordentlich aufgeregt, wie immer, wenn ich vor Leuten spreche. Dieses Mal kam erschwerend hinzu, dass es meine erste englische Keynote war. 30 Minuten sollte ich sprechen. Über das agile Buddha Prinzip und darüber, warum der Buddha Rafting liebt. Als mich kurz vor dem Start meiner Rede leicht Panik überkam, musste ich an einen Tweet von Jenny Kallenbrunnen denken. „Jetzt, da ich mich so sehr verändern muss wegen dieser unfairen und aufdringlichen Scheißkrankheit, merke ich, wie sehr ich mich eigentlich geliebt habe zu der Zeit, in der ich dachte, dass ich mich hasse“, hat sie vor einigen Tagen geschrieben. Genau dieser Tweet hat mich schon beim ersten Lesen so berührt. Wie oft machen wir uns einen Kopf um unser Aussehen, unser Verhalten, unser Nicht-Perfektsein, obwohl wir eigentlich allen Grund haben, stolz auf uns zu sein und uns so zu schätzen, wie wir sind. Bloß merken wir das oft erst, wenn uns das Schicksal aus der Bahn wirft. Also, ich sollte hier über mein Buch reden, über mein Herzensprojekt und darauf konnte ich stolz sein. Also war ich es auch und hielt meine Keynote.

Das Monkey Mind in voller Aktion

Mit ein paar Hasplern, aber sonst wirklich „ganz okay“. So fand ich. Nach der Rede bekam ich unabhängig voneinander von mehreren Menschen Komplimente für die Rede. Ich sollte doch mal einen TedXTalk machen, ich gehöre auf eine Bühne. Ein Zuhörer sagte mir, er habe sich gefühlt, als würde er in ein Buch eintauchen. Eine Frau sagte mir, sie sei so gerührt gewesen, dass sie fast geweint hätte. Wow. Ich war touched und dankbar für die Komplimente. Und fand weiterhin, dass meine Rede ganz okay war, ich aber beim nächsten Mal schon noch das ein oder andere verbessern könnte. Ich hatte vorher jemandem ein Handy in die Hand gedrückt, damit er ein Video macht. Was soll ich sagen. Ich fand es mich überhaupt nicht gut.

Meterweiter Sprung über die Komfortzone

Ich musste an eine Begegnung in den letzten Tagen denken. Ich stand in einem Geschäft in Sion, in dem zwei Frauen gerade Kleider anprobierten und unzufrieden mit sich waren und dies auch äußerten. Die Shop-Inhaberin schaute mich an und sagte: „Ich möchte mal einen Tag erleben, an dem alle Menschen in den Laden kommen und sich schön finden, statt immer nur an sich herumzukritisieren. Wir sind doch alle schön und besonders.“ Ich schaute wieder auf das Video, dachte an diesen Satz und konnte es plötzlich mit anderen Augen sehen.

Und bin inzwischen sogar ein bisschen stolz auf mich, dass ich meterweit über meine Komfortzone gesprungen bin, um diese Keynote zu halten. Ich glaube den Menschen, die mir gesagt haben, dass die Rede gut war. Und inzwischen kommt es auch in meinem Herzen an.

Dankbar für kleinere und größere Lerneffekte

Was soll ich sagen – außer, dass mein Auto am nächsten Tag, als ich motiviert und ausgerüstet für eine Wandertour war, mitten in den Bergen wild leuchtete, mir was von Motor reparieren erzählte und ich ohne Empfang irgendwie dort wegkommen musste. Auch das hat funktioniert. Mit menschlicher Hilfe. Ich war jedenfalls froh, dass mir das nicht auch noch auf dem Weg zum Nomad Fest passiert ist, denn das hätte meine Keynote dann wirklich gekillt.

Eine Reise in die Schweiz, von der ich vorher nie gedacht hätte, dass sie so viele Erkenntnisse, Lerneffekte und kleine und größere Prüfungen mit sich bringen würde. Von wertvollen und inspirierenden Begegnungen, Wahnsinnsausblicken und verdammt gutem Iced Coffee ganz abgesehen. Und zu guter Letzt habe ich auf dem Rückweg noch einen kurzen Zwischenstopp in Veyvey eingelegt und einen morgendlichen Speedkaffee mit Nicole Helmerich genossen und über Liberating Structures geplaudert – das erste Mal live statt nur virtuell. Ein wahrlich gelungener Abschluss.

Ein großer Dank geht an Piera Mattioli für das Graphic Recording meiner Keynote.

1st Nomad Fest Switzerland

Foto: Philipp Weber