Manchmal braucht es etwas länger, bis ich für Ereignisse die richtigen Worte finde. Besser gesagt, bis die Gedanken in meinem Kopf so sortiert sind, dass ich sie zu Papier (oder zu Dokument) bringen möchte. Nur irgendwann wollen sie raus. Und so ist das auch jetzt. Ich habe vor einigen Wochen eine Weiterbildung gemacht. Eine sehr gute Weiterbildung. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass die Weiterbildung selbst nichts mit den Geschehnissen zu tun hat, über die ich hier schreibe.

Die Weiterbildung fand im buddhistischen Kloster Buddhas Weg in Wald-Michelbach statt. Ein schöner Ort, um ein Thema wie Resilienz noch weiter zu vertiefen, so dachte ich. Zumal ich tibetisches Yoga unterrichte und mir die buddhistische Philosophie am Herzen liegt.

Ein Bauchgefühl, mehr war es am Anfang nicht, ließ mich irgendwie spüren, dass etwas nicht in Ordnung ist. Sehr viele Schildchen, die besagten, was alles nicht erlaubt ist und welche Regeln es gibt. Wenig Erklärungen hingegen zu Meditationen oder Verhaltensweisen, nur strafende, ja fast bemitleidende Blicke, wenn versehentlich eine dieser Regeln nicht befolgt wurde. Ich fühlte mich geduldet, so, als müsse ich minütlich dankbar sein, an diesem Ort überhaupt sein zu dürfen.

Schlaflose Nächte im Namen des Buddhismus…

Am zweiten Abend saßen wir bei einer Übung zusammen, als eine der Mitteilnehmenden fragte, ob wir eigentlich gelesen hätten, was in diesem Kloster passiert sei. Nun muss ich zugeben, dass ich vor der Weiterbildung ziemlich gestresst war und irgendwie gar keine Zeit gefunden hatte, mich näher damit zu beschäftigen. „Hier gab es wohl mal einen Mönch, der übergriffig wurde“, sagte sie eher nebenbei. Ich bat sie, mir einen Link zu schicken. Was folgte, waren schlaflose Nächte, Gedanken, Grübeln, Wut, Fassungslosigkeit und Unverständnis. Aber offenbar irgendwie nur bei mir.

Um was geht es genau? Der Ex-Mönch und Gründer des Klosters Buddhas Weg, Thich Thien Son, stand unter Verdacht, Angehörige des Klosters belästigt und ein Kind sexuell missbraucht zu haben. Laut diverser Medienberichte hatten sich mehrere Angehörige des Klosters ans Jugendamt und an die Polizei gewendet. Dem SPIEGEL und anderen Medien haben diverse Personen aus dem Kloster später darüber berichtet. Das Jugendamt reagierte, fand aber keine Auffälligkeiten.

Zwei Verfahren gegen Thich Thien Son wurden eingestellt. Und das, obwohl er zuvor im Kreise von Kloster-Angehörigen Taten eingestanden haben soll und die Anwesenden dies hinterher offiziell zu Protokoll gaben. Eine Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens half ebenfalls nichts.

Als wäre nie etwas gewesen

Das alles ist Jahre her. Einzig die Deutsche Buddhistische Ordensgemeinschaft BDO handelte konsequent 2010 und schloss Thich Thien Son aus. Erst drei Jahre später gab er seinen Mönchstitel auf. Nicht etwa freiwillig oder aus Einsicht, sondern weil einige Mönche sich an Thich Nhat Hanh gewandt hatten. Der wiederum legte Thich Thien Son nahe, die Mönchsrobe abzulegen, was dieser dann tat und öffentlich nicht mehr damit gesehen wurde.

Der Spiegel hat 2018 mit dem Haupt-Opfer Thich Thien Sons gesprochen und mit einigen anderen Personen, die unter ihm gelitten haben. Der Artikel ist es, der mich nicht mehr schlafen ließ. Denn was dort steht, erscheint zumindest mir höchst glaubwürdig und klingt nach böser Vertuschung unter dem Deckmäntelchen einer „gütigen Gemeinschaft“.

Lest den Artikel am besten selbst, um euch ein Bild zu machen. Auch davon, wie der Ex-Mönch selbst sein Vorgehen angeblich rechtfertigte. Ihr findet den Artikel hier.

Mild lächelnd und feiernd

Und als sei das alles noch nicht schlimm genug, geht die Geschichte noch weiter. Thich Thien Son hat seinen Namen geändert in Thay Thien Son. Thay bedeutet so viel wie „Meister“. Auch sein Vater trägt den Namen Thay. Thay, also der, dem der Missbrauch vorgeworfen wird, hat niemals aufgehört, an Buddhas Weg mitzuwirken. Klickt man sich durch die Bildergalerie von Buddhas Weg, so lassen sich diverseste Fotos von Festen finden, auf denen er zu sehen ist.

Ich habe überlegt, das Seminar abzubrechen und nach Hause zu fahren. Ich konnte das nicht ertragen. Jemand legt nicht einfach seine Mönchsrobe ab und wird auch nicht einfach vom BDO ausgeschlossen. Auch wenn es keine Verurteilung gab, so wiegen die Vorwürfe tonnenschwer. Doch das, so scheint es, wird im Kloster devot und immer mit einem milden Lächeln auf den Lippen wegignoriert.

Selbstzweifel und Fragen

Ich habe mit Leuten im Kurs gesprochen. Einige waren entsetzt, andere sagten, sie blenden das für die Dauer des Kurses aus oder erwähnten, das habe ja mit dem Kurs nichts zu tun. Ich wollte schreien. Und davonlaufen. Und tat das nicht. Warum? Diese Frage habe ich mir im Nachhinein so oft gestellt, dass ich es kaum noch zählen kann. Und ich weiß es nicht. Ich habe gelitten, gekotzt und trotzdem durchgehalten. Weitergemacht, obwohl es mir beschissen ging und ich es so oft wie möglich gemieden habe, mich zum Essen gemeinsam in einen Saal zu setzen. Mit Menschen, die über all das einfach hinwegsehen können. Ich habe mich auch gefragt, ob ich vielleicht diejenige bin, die alles zu eng sieht. Und das ist es vielleicht auch, was mich hat bleiben lassen. Selbstzweifel. Ist ja lange her, er hat sich ja vielleicht geändert, ist ja nicht verurteilt worden… Keine Sorge, diese Fragen stelle ich mir jetzt im Nachhinein nicht mehr. Ich weiß, wie falsch es war, dort zu bleiben.…

Devote Gefolgschaft

Irgendwann im Laufe der Woche warf ich einen Blick auf die angekündigten Seminare. Und tatsächlich. An dem Wochenende, an dem unser Kurs zu Ende ging, unterrichtete tatsächlich Thay, ja genau der, in diesem Kloster. „Der Weg zu sich mit ZEN“ und „Generations-Aufstellung“. Was soll ich sagen: Die Menschen strömen weiter in Scharen zu seinen Kursen. Abgesehen davon, dass Teilnehmenden-Listen mit allen möglichen Infos für alle sichtbar vor der Meditationshalle liegen, was datenschutztechnisch ein Desaster ist, scheint niemanden zu interessieren, was früher passiert ist. Beim besten Willen kann ich mir nicht vorstellen, dass sie davon alle noch nie etwas gehört haben. Ich frage zwei Personen vorsichtig, sie winken ab. Das sei alles gelogen, seine Seminare seien so wertvoll. Ihre Namen möchten sie selbstverständlich nicht nennen.

Es liegt mir fern, zu unterstellen, dass in den Seminaren immer noch Dinge passieren, die Vorwürfe rechtfertigen würden. Und doch ist es dieser Mensch, der immer noch mit Menschen arbeitet. Und zwar in einer engen Lehrer-Schüler-Beziehung. Auch, wenn es nun wohl nur noch erwachsene Menschen sind. Die Menschen himmeln ihn an. Blind vor wie auch immer man das nennen will. Ich möchte sie schütteln.

Begegnung der dunkelsten Art

Und dann läuft mir Thay am Morgen vor meiner Abreise auch noch breit lächelnd über den Weg und wünscht mir einen schönen Tag. Ich bin angewidert und nehme all meine Beherrschung zusammen, sage nur „hau bloß ab“ und laufe in den Wald, um meine Wut rauszuschreien. Irgendwann kehre ich auf das Gelände des Klosters zurück. Fast absurd anmutend sitzen dort die steinernen und goldenen Buddhafiguren. Jungs, wenn ihr doch bloß reden könntet und würdet…

Ich habe ein wenig weiter recherchiert. Es finden sich noch mehr Berichte über diesen „Fall“.  Ich muss damit klarkommen, dass ich geblieben bin. Auch an anderer Stelle hat sich das System offenbart, das in dem Kloster gelebt wird. Mit drei Personen bin ich das erste Mal in meinem Leben in einem Aufzug steckengeblieben. Kein angenehmes Gefühl. Als wir nach etwas längerer Zeit rauskamen, wurden wir von einer Angestellten des Klosters angeblafft, warum wir auch zu viert in den Aufzug gestiegen seien, das sei ja schließlich nicht richtig. Da habe ein Schild gehangen, das besagt, das nur zwei Personen in den Aufzug dürfen. Wegen Corona. Dieses Schild hing da nicht. Zumindest nicht mehr, als unser Kurs stattfand. Ganz abgesehen davon, das das nichts mit der Funktionstüchtigkeit des Auzugs zu tun hat. Die Dame war hoch aufgeregt und trotzdem hätte ich eine Entschuldigung statt Vorwürfen erwartet. Das habe ich ihr auch gesagt. Später am Abend folgte eine Entschuldigung.

Ich habe gemerkt, unter welch enormem Druck sie stand. Und das in diesem Arbeitsklima, wo sich ja alle lieb haben. Sie hat der Entschuldigung sofort mehrfach hinzugefügt, dass dem Kloster keine Vorwürfe gemacht werden könnten, sie hätten alles richtig gemacht. Ich hatte überhaupt nicht vor, wegen des defekten Aufzugs irgendwas zu unternehmen und habe das an keiner Stelle gesagt. Denn sowas kann ja durchaus passieren. Auch hier ist dieses Muster zu erkennen, dass wenn etwas nicht richtig ist, dies auf gar keinen Fall irgendwas mit dem Kloster zu tun haben kann. Die Frau tat und tut mir leid.

Toxische Abhängigkeitsverhältnisse

Für mich sind es diese geschlossenen Systeme, die anfällig sind für Missbrauch und anschließendes Vertuschen, Schönreden und Verschweigen. Abhängigkeitsverhältnisse. Wie gesagt, ich befasse mich auch schon länger mit dem Buddhismus und wertschätze die Philosophie, die dahintersteckt, sehr. Mit dem, was in diesem Kloster passiert, hat sie für meine Begriffe wirklich gar nichts gemein. Ich habe selbst schon an anderer Stelle in buddhistischem Zusammenhang erlebt, wie groß der Gruppenzwang sein kann, wie sehr starres und unkritisches Hinterherhecheln dominieren und einige wenige bestimmen, was erwünscht ist und was nicht. Ihre fadenscheinige Güte zur Schau tragen und Menschen, die Vorgehensweisen hinterfragen, als seltsam stigmatisieren. Dogmatismus vom Allerfeinsten, obwohl gerade der Buddhismus lehrt, wie wichtig kritisches Denken ist.

Was bleibt? Die Erkenntnis, dass Buddhas Weg ein Ort ist, an dem ich nie wieder ein Seminar besuchen werde. Das Unverständnis darüber, dass dort überhaupt noch jemand Seminare gibt. Die Selbsterkenntnis, dass das Bauchgefühl so gut wie nie trügt und, dass ich, sollte ich nochmal in so eine oder in eine ähnliche Situation geraten, konsequenter bin und auf mich aufpasse. Und die Gewissheit, dass das, was dort passiert, nicht im Sinne der buddhistischen Philosophie ist und ich diese nach wie vor mag. Mit Buddhas Weg hat das ganz sicher auch nichts zu tun.

Und noch etwas: Liebe Menschen in Buddhas Weg, all eure Regeln, eure unzähligen Niederwerfungen und Meditationen haben einen sehr faden Beigeschmack und sind für mich alles andere als glaubwürdig.

Hier noch einige weitere Links zum Thema Buddhas Weg:
https://www.wnoz.de/Das-Schweigen-in-Buddhas-Weg-dedb7a02-1805-48a0-bccc-0b223fa37e58-ds

https://buddhismus-kontrovers.info/der-fall-des-zen-meisters-thich-thien-son/

https://youtu.be/BTsBJTSslPc

https://bit.ly/3JtS2uN