„Besser Online 2019“ in Leipzig. Viele Wochen haben wir auf diesen Tag hingearbeitet. Gebrainstormt, welche Themen gerade die Medienwelt bewegen, überlegt, welche Panels und Workshops sinnvoll sein könnten, Sponsoren gesucht, mit Referenten gesprochen und vieles, vieles mehr. Wir, das ist der Bundesfachausschuss Online im Deutschen Journalistenverband, bestehend aus Miriam Kern, Jan Eggers, Frank Sonnenberg, Thomas Mrazek, Patrick Wiermer, Kilian Haller und mir. Nicht zu vergessen, die Orga-Queen Luciana Aguileira von der DJV-Geschäftsstelle in Bonn, Michael Klehm und Peter Jebsen, die uns auch in diesem Jahr wieder grandios unterstützt hat.
Über 160 Menschen und eine Rotwein trinkende Katze
Über 160 Medien-Menschen kommen aus ganz Deutschland nach in Leipzig, um sich über KI, Fake News, Rechtspopulismus, Podcasts und viele, viele weitere spannende Themen zu informieren. Vor allem die Workshops sind schwer beliebt. Hier erzählten unter anderem Vassili Golod & Jan Kawelke über ihren erfolgreichen Machiavelli-Podcast, Daniel Moßbrucker über Sicherheit und Nadin Rabaa von der Google News Initiative über Factchecking.

Foto: Frank Sonnenberg
Los geht es schon am Vorabend mit Josephine von Blueten Staub, einer grandiosen jungen Poetry Slammerin, die gerade ihr Buch „Nachtschattengewächse“ veröffentlich hat. Ich habe es vorher gelesen. Es zeugt von großer Beobachtungsgabe und feinem Gefühl für Sprache. Mir persönlich hat es ja am meisten die Rotwein trinkende und rauchende Nachbarskatze „Josefine Telefon“ angetan. Eine Stunde lang begeistert die gebürtige Magdeburgerin die schon angereisten Referenten und Gäste. Übrigens hat sie sogar schon mal einen Poetry-Slam-Workshop im Silicon Valley gegeben. „Das war lustig mit den ganzen Kids von Google und so“, sagt sie und fängt sie alle ein mit ihrer sympathischen Art. Und ich werde an diesem Abend für weitere zwei Jahre zur Vorsitzenden des Fachausschuss Online gewählt. Danke für euer Vertrauen!
Nicht Alexa, nur wir selbst können etwas ändern!
Am nächsten Tag dann geht es nach dem Frühstück gleich voll los in der Leipzig School Of Media mit einer Begrüßung durch Steffi Nickel und einer klasse Keynote. „Der Mensch ist der Lehrmeister des Algorithmus“, sagt Digitalexpertin Karin Schlüter zur Eröffnung der 15. Ausgabe der Journalisten-Konferenz „Besser Online“. Es ist unser Mindset, an dem wir etwas verändern müssen, nicht irgendeine Plattform. Gleich zu Beginn demonstriert die Wahl-Dänin, dass KI auch nur begrenzte Fähigkeiten hat. „Alexa, hat der Journalismus eine Zukunft“, fragt sie. „Das weiß ich leider nicht“, lautet die Antwort. Sie appeliert an die rund 160 Anwesenden, nicht auf Narrative hereinzufallen und über Algorithmen neutral und reflektiert zu berichten statt reflexhaft alles Neue zu verteufeln. „In Dänemark ist die Datenkrake etwas Positives, weil sie viele Arme hat und damit so viele Probleme lösen kann.
Von alten Formaten lösen
Es ist also immer auch eine Frage der Sichtweise. Und die, so Schlüter, ist in Deutschland besonders skeptisch. „Ich habe den Eindruck, es ist fast schon ein kultureller Wert, in Deutschland technikfeindlich zu sein“, sagt sie und räumt gleich mit etwas anderem auf. Nämlich damit, dass die Filterblase ein rein digitales Problem ist. Die gab es auch schon in der analogen Zeit. Journalisten brauchen echtes, gutes journalistisches Handwerkszeug, sollten aber unsere Fähigkeiten etwas anders zusammenstellen und sich von alten Formaten lösen. Ein fein durchargumentierter Appell gegen die zum Teil herrschende Digitalphobie, gepaart mit einem durchaus positiven Blick in die Zukunft – wenn wir denn bereit sind, auch mal etwas zu wagen.

Foto: Frank Sonnenberg
Podcast mit Hindernissen
Im Vorfeld schon hatte ich Karin Schlüter gefragt, ob sie sich vorstellen könne meine Interviewpartnerin für einen Podcast zu sein. Sie konnte, bloß ich hab’s verpeilt. Nein, nein, es hat noch geklappt, aber mit kleineren Umwegen, weil ich zwar Micro und Rechner mithatte, aber leider keinen Adapter… Über Karins Rechner aufgenommen, per File an mich gesendet, wartet es jetzt noch auf meine Bearbeitung, die ich in den nächsten Tagen vornehmen werde. An dieser Stelle nochmal ein großes Dankeschön für dein Verständnis für meine Verspieltheit, Karin.
Sachsen-Wahl und Netzpropaganda
Das Panel zur Sachsen-Wahl mit Annette Binninger (Sächsische Zeitung) und Florian Meesmann (MDR) bekomme ich leider nur am Rande mit. Die Frage in der Auseinandersetzung mit der AfD dürfe nicht lauten: „Was tun wir dagegen“, sondern „Was bieten wir an?“, sagt Binninger. Da schnappe ich fast im Vorbeigehen auf. Ich höre kurz ins Panel „Netzpropaganda und digitale Stimmungsmache“ mit Till Eckert von Correctiv. Das Tool, das zum Facebook-Check benutzt wird, darf er nicht zeigen, versichert aber, dass es ein „sehr mächtiges“ Tool sei. In der Mittagspause dann kurz was essen, twittern, instagrammen und mit dem Orga-Team abstimmen. Es läuft alles. Allmählich weicht die leichte Anspannung einer fröhlichen Gelassenheit.
Zwischen Resignation, Entsetzen und Hoffnung
Nach der Mittagspause dann folgt für mich das Highlight des Tages. Das Panel „Berichterstattung über Populismus“. Keines, das gute Laune macht oder fröhlich stimmt. Aber eines, das berührt. Der syrische Journalist Tarek Khello berichtet von seinen Erlebnissen. Man könnte eine Stecknadel fallen hören. Er erzählt, wie er in Erfuhrt von Rechten verfolgt und angegriffen wurde und sich schließlich in eine Supermarkt flüchtete. Ich muss schlucken. Mehrfach. Seine Mitdiskutanten in dieser Runde sind Tobias Wolf von der Sächsischen Zeitung und Johannes Filous, der für sein Projekt Straßengezwitscher bereits mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet wurde. Was die drei erzählen, bedrückt. „Da stehen Montag für Montag bei Pegida Leute auf der Bühne und verkünden öffentlich, dass man in Deutschland seine Meinung nicht mehr sagen kann. Was willst du mit solchen Leuten noch reden?“, resigniert Tobias Wolf für einen kurzen Moment. Wenn diese engagierten Journalisten schon erzählen, dass sie nicht mehr wissen, was sie noch tun sollen, um Menschen mit rechter Gesinnung zu erreichen und vielleicht doch noch an ihrer kruden Sichtweise zweifeln zu lassen, wer soll es dann tun? „Populismus bietet viel zu einfache Lösungen für viel zu komplexe Problem“, sagt Johannes Filous.

Foto: Frank Sonnenberg
„Demokratie mündiger Bürger ist ein Mythos“
Später dann sagt er, dass sich für ihn in den letzten Monaten gezeigt habe wie zerbrechlich für Grundwerte wie Freiheit oder Gleichheit, mit denen wir so selbstverständlich aufgewachsen sind, plötzlich werden. Wie schnell es gehen kann, dass vieles einfach nicht mehr selbstverständlich ist. „Populismus wird gefährlich, wenn Leute sich nicht mehr für Fakten interessieren“, gibt Wolf zu bedenken, der weiter sagt, eine Demokratie mündiger Bürger sei ein Mythos. „Ich halte Frauen übrigens für intelligenter und empathischer und damit lebensfähiger als Männer“ fügt er noch hinzu. „Am Anfang war man noch empört, wenn man auf rechten Demos als Journalist geschubst wurde. Mittlerweile muss man froh sein, wenn man nur geschubst wird. Das Abstumpfen ist erschreckend“, sagt Filous. Der trotz allem nicht aufgibt und immer wieder versucht, auch auf Demos mit Anhängern der AfD zu reden. Kürzlich erst war er gemeinsam mit einem Kollegen für einen Monat auf einem Seenotrettungsschiff, um über die Zustände dort zu berichten.
Diese eine Stunde tut weh, richtig weh. In der Pause unterhalte ich mich darüber, wie genervt wir früher waren, wenn in der Schule der x-te Text zum Thema Nationalsozialismus analysiert werden musste und klar war, was geschrieben werden musste, um eine gute Note zu bekommen. Niemals, niemals hätten wir gedacht, dass dieses Thema nochmal so aktuell werden würde. Ganz ehrlich, Tarek, Tobias und Johannes, ihr seid toll. Bitte gebt nie auf und seid weiter eine große Inspiration für viele.
Nervennahrung und TikTok
Einen Kaffee und ein leckeres Stück Bisquitrolle mit Himbeerfüllung weiter, schaue ich in den Talk „Welche Medien konsumiert die Generation U30? Kathrin-Anna Firle von funk, Karsten Schmehl von TikTok und Vassili Golod (Machiavelli-Podcast) sprechen. Schmehl zitiert die Ziele des chinesischen Unternehmens: „We don‘t want followers, we want activists, creators & go-getters“, lautet die Devise. Und fügt hinzu, es gehe um das echte Leben, nicht um das perfekte auf der Videoplattform. Es kommt die Frage auf, was das alles mit Journalismus zu tun habe? Berechtigter Einwand von Schmehl: Das sind die Plattformen, auf denen die jungen Menschen sind. Das können wir nicht ignorieren. Es geht ums Ausprobieren, um das Finden anderer Formate. Und hier schließt sich der Kreis zur Keynote. Es hilft nichts, sich an altbewährte Dinge zu klammern, sondern wir sollten alle den Mut haben, Neues zu wagen.
Fotos: Frank Sonnenberg
Ein Phrasen-Feuerwerk als krönender Abschluss
Mit einem Paukenschlag beendet Sebatian Pertsch den Konferenz-Wahnsinn und landet damit einen Volltreffer. Wer die Floskelwolke bisher noch nicht kannte, der wird nun garantiert keine Fernsehsendung mehr schauen, ohne auf eingeschliffene, überflüssige oder auch völlig belanglose Phrasen zu achten. Eigentlich besteht die Floskelwolke aus zwei Personen. Doch Udo Stiehl fällt leider krankheitsbedingt aus. Gute Wünsche gehen aus der Ferne an ihn herüber und erreichen ihn in diesem Internet. An dieser Stelle hoffe ich, dass es ihm inzwischen besser geht. Pertsch sorgt am Ende eines langen Konferenztages für diverse Lacher, als er Beispiele bringt, die die teils skurrilen Spracheinlagen einiger Politiker, aber auch Journalisten zeigen. Floskeln werden leider auch benutzt, um zu polarisieren. Gerade im Bereich Rechtspopulismus nehmen diese immer mehr zu und werden fast täglich neu kreiert. Am Ende gibt’s noch ein Fußball-Floskel-Bingo. Die Null steht und der Treffer ist versenkt! Und Besser Online steht schon in den Startlöchern für die Konferenzplanung 2020.
Was mir am Ende noch zu sagen bleibt: Ein riesengroßes Danke an alle Beteiligten und an das sonnige Leipzig!
- Foto: Frank Sonnenberg
- Weitere Fotos: Ute Korinth
Hinterlasse einen Kommentar