Draußen weht ein frischer Wind, es nieselt. Im Norden nennt man das Schietwetter. Ich radle zwei Kilometer von Nieblum nach Alkersum. Es fühlt sich allerdings an wie mindestens zehn Kilometer gegen heftige Naturkräfte. Die Anstrengung lohnt sich. Außer mir haben sich noch sieben andere Menschen auf den Weg gemacht, um an einer ganz besonderen Achtsamkeitsübung teilzunehmen. Unter dem Titel „Mindful Moments – Kunst und Meditation“ gibt es hier heute ein ganz besonderes Erlebnis. Merle Staege, Museumsmitarbeiterin und Meditationskursleiterin begrüßt uns in den leeren Räumen des Museums Kunst der Westküste auf der Insel Föhr.
Allein im Museum
Das allein ist schon ziemlich cool. Zwei Tage vorher war ich im laufenden Betrieb durch die Emil Nolde Ausstellung gegangen. Jetzt, in leerem Zustand, wirken die Bilder doppelt, ja fast dreifach beeindruckend. Die teils düsteren Landschaften finde ich besonders schön, gleichen sie doch sehr dem winterlichen Bild, das gerade draußen herrscht. Allerdings gibt es immer auch Lichtpunkte, die, auch wenn sie noch so klein sind, das Bild strahlen lassen.
Aber zurück zur Idee. Entstanden ist sie, so erzählt Merle Staege, als wieder mal der Slow Art Day anstand (in diesem Jahr ist er übrigens am 6. April). Das Museum beteiligte sich mit eben dieser Idee daran, mit einer anderen Ausstellung, aber dem gleichen Konzept.
Emil Nolde – Mindful Art
Wir gehen in den hinteren Raum, wo schon Yogamatten und Kissen bereitliegen. Zunächst machen wir eine Gehmeditation. Wie oft hetzen wir nur von einem Ort zum anderen, ohne überhaupt aufzuschauen oder die Dinge um uns herum wahrzunehmen? Bei der Gehmeditation wird ganz bewusst ein Schritt nach dem anderen gemacht. In Slow Motion, ohne Eile. Schon jetzt prägen sich die einzelnen Bilder ein. Eine Ahnung davon, was der Maler wohl gefühlt haben mag, macht sich breit. Dann geht es zurück auf die Matten. Es folgt eine kleine Einführung in die Meditation. Warum ist Meditation eigentlich so gesund? Sie sorgt, regelmäßig angewendet, nicht nur für mehr Gelassenheit, sondern macht auch resistent gegen Stress und verändert unsere Gehirnstrukturen positiv. Das ist mittlerweile längst zigfach wissenschaftlich erwiesen. Nach einer Atemmeditation dürfen wir dann endlich jeder ein Bild auswählen. Meines ist recht düster, wie vermutlich schon erwartet. Es hat mich vom ersten Augenblick an, als ich den Raum betrat, fasziniert. Zwei Tage zuvor war ich daran vorbeigeschlendert wie an allen anderen Werken. Ohne besondere Aufmerksamkeit.
Wir platzieren unsere Matten direkt vor dem Bild. Setzen uns auf die Meditationskissen und begeben uns auf eine geführte Sinnesmeditation. Wie sieht der Hintergrund des Bildes aus, wie der Vordergrund? Wo ist Licht, wo ist Schatten? Wie mag es dort in der Landschaft schmecken, riechen? In welcher Stimmung, welchem Gefühl mag sich Emil Nolde befunden haben, als er dieses Bild zauberte? Nach einer Viertelstunde sehe ich das Bild mit komplett anderen Augen. Und ja, ich konnte die Landschaft wirklich riechen und den Wind spüren. Aber das ist nicht alles. Ich fühle mich total entspannt und bereit für einen neuen Tag auf der Insel, die in den Tagen zwischen den Jahren so voll ist, dass man sie eigentlich lieber meiden sollte.
Mich jedenfalls hat dieses Konzept überzeugt. Und ich werde jetzt garantiert in jeder Ausstellung, die ich besuche, ein Bild herauspicken, das ich länger betrachten werde. Natürlich nicht mit Yoga-Matte, aber für mich und ganz in Ruhe. Probiert es mal aus, das ist echt toll!
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